Dienstag, 29. März 2016

Mann im November


Im Rahmen des Seminars "Erinnern und Vergessen (III) - Betrachtungen zur Kunst im öffentlichen Raum im Spannungsfeld aus alltäglicher Rezeption, wissenschaftlicher Analyse und künstlerischer Forschung", geleitet von Ruppe Koselleck, entschied sich unsere Gruppe dazu, den "Mann im November" vorzustellen. Wir bedanken uns bei allen, die für Interviews und Fotos zur Verfügung standen. Der „Mann im November“ befindet sich seit 1979 in Osnabrück. Um mehr über ihn zu erfahren, möchten wir den Lesern und Interessenten an dieser Skulptur eine kurze Geschichte erzählen:

„Mann im November“
Eine Geschichte

Teil I – Mann im November

Sehr geehrtes Publikum,

Sie kennen mich, wenn Sie aus Osnabrück stammen, vermutlich als „Mann im November“, 1,70 m groß und aus Bronze. Ich bin sogar überlebensgroß, wenn man den Sockel zu meiner Statur dazu zählt.
1974 wurde ich geboren. Waldemar Otto ist mein Vater. 1979 entschied sich die Stadt Osnabrück dafür, mich für 39000 DM zu adoptieren und ich durfte in der Stadt bleiben. 2001 lud mich André Lindhorst, Kustos der Kunsthalle Osnabrück, für ein Jahr zu sich ein und schenkte mir die Möglichkeit, gründlich gereinigt zu werden. Leider hatte ich die Jahre zuvor keine Chance, eine Dusche oder ein Bad aufzusuchen, obwohl mich Sprayer sehr oft heimgesucht hatten.
Jedoch laufen viele Passanten tagein tagaus einfach an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Andere stoßen sich an mir und bemerken mich so wenigstens durch Schmerzen, die sie ereilen. Das ist natürlich ideal für meine Nachbarschaft, die aus Arztpraxen und einer Apotheke besteht. Seit 2002 befinde ich mich hier in der Großen Straße, unweit des Nikolaiortes.
Ich mag es nicht gerne, privat zu werden, aber was ich noch sagen möchte, ist, dass ich sieben identische Brüder habe. Wir sind also Siebenlinge. Einige Brüder sind bei privaten Sammlern untergekommen, ein anderer tauchte sogar schon im Tatort im Hintergrund der Filmkulisse auf. Soviel also zu meiner Familie.

Teil II – Waldemar Otto

Der Vater des „Mann im November“ und seiner Zwillingsbrüder ist der deutsche Bildhauer und Künstler Waldemar Otto. Er wird am 30. März 1929 in Petrikau in Polen geboren und beginnt 1948 an der Berliner Hochschule für bildende Künste ein Studium der Bildhauerei.
Einen seiner ersten Erfolge erreicht er 1957, als er mit nur 28 Jahren mit dem großen Preis der Berliner Kunstaustellung ausgezeichnet wird. Einige Jahre später entstehen dann seine ersten Torsi, die von nun an charakteristisch für sein Schaffen sein sollen. Figurative Plastiken sind sein Steckenpferd, die die Themen Leid, Schmerz und kämpferischen Geist besonders expressiv zur Geltung bringen. Seine Werke fertigt er vor allem aus Holz, Granit und Bronze an. Otto Waldemar lebt heute im Künstlerdorf Worpswede in der Nähe von Bremen und ist international mit seiner Kunst bekannt.

Was könnte man nun anderes tun, als Mitleid mit dem „Mann im November“ zu haben? Dazu haben wir uns gedacht, dass er etwas Liebe an einem kalten Wintertag verdient, einsam die Apotheke in der Großen Straße in Osnabrück bewachend. Also statteten wir ihn mit einem Schild aus, wie man im Folgenden sehen kann …

















Nach und nach erbarmten sich einige Bürger, um ihm Mitgefühl ...

 
... und Wärme zu zeigen!

















Diesen Gefühlsaudrücken sollten nun Aussagen der Bürger folgen, die die Skulptur kommentierten:


Zitate (Passantenbefragung) – „Mann im November“

„Weder gefällt es mir, noch müsste es weg. Ich nehme die Skulptur jetzt das erste Mal bewusst wahr. Ich lebe schon seit 6 Jahren in Osnabrück. Joa, es ruft zum Innehalten auf.“
„Ich kenne das Denkmal nicht, es steht halt da. Ich hab’s allgemein nicht so mit Denkmälern. Welches stattdessen hier stehen könnte? Öh…, dann eben der Eiffelturm. (lacht)“ – Apothekerin

„Ja, natürlich kenne ich das Denkmal. Es steht schon seit zehn, zwanzig Jahren in Osnabrück an verschiedenen Stellen. Es gefällt mir sehr gut! Es wirkt trostlos, melancholisch und ist depressionsauslösend. Ich möchte das Schicksal dieses Typen nicht teilen, ist bestimmt so ein armer Mann, der den ganzen Tag hinter’m Schreibtisch hockt und nichts anderes sieht. Mein Bekanntenkreis findet ihn furchtbar – im Sinne von ‚furchtbar expressiv‘, da er ja auch überlebensgroß ist. Zudem ist er provokativ. Ja, der Standort sollte auf jeden Fall mitten im Gewühl sein. Kennen Sie Vollker Trieb? Da gibt es noch Baumstämme in der Stadt verteilt, auf denen Sätze stehen, die an den Ersten Weltkrieg erinnern, aber es müsste zumindest „Erich Maria Remarque“ darauf stehen, sonst versteht es niemand. Diese Skulptur hat wenigstens alle Informationen auf dem Sockel, nehme ich an? Dann gehe ich gleich mal hin und schaue.“

„Sein Blick ist traurig. Er sieht wie ein Obdachloser aus. Er hat wohl kein Essen.“

„Jedes Mal komme ich hier vorbei. Er ist hässlich, aber echt, ein alter Mensch. Aber es stört nicht.“

„Ja, man rennt hier vorbei, eigentlich bräuchte es eine exponiertere Lage, zum Beispiel die Hase. Aber das Denkmal ist dekorativ, soll etwas darstellen. Es ist ein unauffälliger Ort und geht hier unter. Wie wäre es denn mit Blumen ums Denkmal herum oder, ja genau, Halogenlampen, damit er auch im Dunkeln zu sehen ist!“



Zudem äußerten sich Studenten der Universität Osnabrück ebenfalls zu der Skulptur und waren verschiedener Meinung, ob die Skulptur an einen anderen Platz gehöre oder nicht. Einige meinen, „der Mann“ falle hier in der Nähe der Apotheke praktisch gar nicht auf und Passanten laufen einfach an ihm vorbei. Andere wiederum sagen, dass der Platz genau richtig inmitten der Stadt sei. Es sei nun einmal das Schicksal vieler Skulpturen und Statuen vergessen und übersehen zu werden. 

 
Wobei man sich als Betrachter an dieser Stelle fragt: „Handelt es sich beim „Mann im November“ wirklich um ein Denkmal?“ Einige Studenten geben kund, dass sie den „Mann im November“ auf jeden Fall als Denkmal einstufen und kategorisieren würden, da er an Arme oder Hungernde gedenken lässt. Außerdem sei er relativ simpel und schlicht gestaltet, weshalb man ihn mit vielen Gedanken und Menschen assoziieren könnte, denen es besonders in der kalten Jahreszeit schlecht ergeht. Andererseits sei er so vereinfacht dargestellt, dass er auch einen normalen Bürger darstellen könnte, der einsam durch die Fußgängerzone wandert. 

Das Werk erscheint auf eine Art und Weise zeitlos. Der „Mann im November“ stimmt viele Personen nachdenklich, besonders in der kalten Jahreszeit, wenn draußen trübes, graues Wetter herrscht, während Passanten stumm oder hektisch durch die Straßen ziehen. Seine Pose und das Wetter, welches man mit dem November als Monat verknüpft, drücken Depression und Niedergeschlagenheit aus. Gerade dann sollte man ihn nicht übersehen. Der „Mann im November“ gibt Anlass, an die zu denken, denen es nicht so gut geht wie einem selbst. Vielleicht ist er aber in der heutigen Zeit auch ein Zeichen dafür, dass man inne halten sollte. Es gibt viele gedankliche Verknüpfungen zu dieser Skulptur – wir vergessen manchmal das, was wirklich wichtig sein sollte. Er ermöglicht es, sich genau daran zu erinnern.
 
 Julia Böhm & Maike Goemann



Weitere Informationen finden Sie hier:








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